Vierzig Jahre nach den ersten modernen Piktogrammen aus Wien entwickelt Otl Aicher (1922–1991) das Zeichensystem für die Olympischen Sommerspiele in München 1972. Durch ihre reduzierte Formensprache sind die Piktogramme klar, wiedererkennbar und schnörkellos funktional. Ein Raster definiert die genauen Maße für die Proportionen und Winkel der Zeichen. Sie bebildern die verschiedenen Sportdisziplinen und sind Teil des Leitsystems für das internationale Großereignis.
Für die Entwicklung seines Zeichensystems greift Aicher auf die Arbeit der Wiener Bildstatistik zurück. Auch die SportPiktogramme der Olympiade 1964 in Tokio beeinflussen seine Entwürfe. Neu ist an Aichers Design, dass die Orientierung im öffentlichen Raum und das gesamte Erscheinungsbild – von der Architektur über Wegweiser bis zu den Eintrittskarten – ineinander greifen.
Damit gilt er als Wegbereiter des »Corporate Design«. Seine Informationssysteme stehen aber auch für ein Ideal gesellschaftlicher Organisation. Bis heute prägen die Piktogramme aus dem Büro Otl Aicher mit über 700 Motiven den öffentlichen Raum.
Aichers Design verkörpert den gesellschaftlichen Wandel der 1960er/70er Jahre in Deutschland. Die auf Disziplin und Autorität basierende Gesellschaft öffnet sich den neuen demokratischen Entwicklungen. Mit seinen funktionalen Piktogrammen setzt sich Aicher bewusst ab von der emotional aufgeladenen Bildsprache nationalsozialistischer Propaganda und verfolgt die Idee einer weltoffenen, universellen Verständlichkeit.
Der Fotograf Karsten de Riese dokumentierte von 1969–1972 die Arbeit des Designteams von Otl Aicher für die Olympischen Sommerspiele 1972. Fotografien, die das Büro als Entwicklungsort zeigen und den Stadtraum und Olympiapark München als Anwendungsorte der Piktogramme.
Der Filmemacher Harun Farocki (1944–2014) entwickelt 2005 zusammen mit Antje Ehmann (*1968) die Arbeit »InFormation«. Der Film untersucht die Darstellung von bestimmten Bevölkerungsgruppen in Infografiken und Piktogrammen.
Wie werden Gastarbeiter*innen, Immigrant*innen oder Geflüchtete auf Landkarten oder in Statistiken zur Wirtschaft dargestellt?
Das Material dieser Untersuchung stammt aus Infografiken in Schulbüchern und Zeitungen der deutschen Nachkriegszeit. Der Film zoomt auf Details und fängt wiederkehrende Merkmale der abgebildeten Gruppen ein. Diese »typischen« Merkmale werden diesen Menschen jedoch durch andere Personen zugeschrieben: Die Gruppen sprechen nicht selbst über sich. Sie werden von den Gestalter*innen stilisiert, also vereinfacht dargestellt. Dabei werden rassistische Klischees in die grafische Darstellung übernommen.
Wolfgang Schmidt benutzt die Zeichen für seine freien künstlerischen Arbeiten genauso wie für Auftragsarbeiten als Gestalter. Dabei verwendet er sie in ganz unterschiedlichen Formaten und Medien: Skulpturen, Projektionen, Postern, Büchern, Druckgrafiken. Oder für das Erscheinungsbild einer Bürgerinitiative zur Rettung der Altstadt im Dorf Dreieichenhain, seiner Wahlheimat. Kein Lebensbereich bleibt unberührt von seinen Lebenszeichen. Sie sind sein persönliches Zeichenvokabular, mit dem er sich der Welt auf seine Art mitteilt.
Unter den Lebenszeichen finden sich Körperteile wie Augen, Nasen, Füße oder Münder: Organe zur Wahrnehmung der Welt. Aber auch Bomben, Brusthaare oder Flugzeuge sind Teil von Schmidts Katalog. Es ist eine sehr persönliche Zusammenstellung: Dinge, die ihm wichtig erscheinen, Gedanken, seine eigene Lebensgeschichte und seine Sicht der Welt spiegeln sich in der LebenszeichenSammlung wider.
Der Vorschlag für eine universelle Zeichensprache von Pati Hill
Die Zeichensprache der US-amerikanischen Künstlerin und Autorin Pati Hill (1921–2014) umfasst rund zweihundert handgezeichnete Symbole. Darunter Zeichen für Dinge und Personen wie Alltagsgegenstände, Fahrzeuge, Pronomen (ich, du, er, sie, es …), aber auch Handlungen, Gefühlszustände oder Sinneswahrnehmungen lassen sich darstellen. Pati Hill ordnet die Zeichen auf knapp vierzig Blättern thematisch an und versieht sie mit ihren Bedeutungen. Zusätzlich veranschaulichen Beispiele den Aufbau ihrer Sprache: Durch die Kombination mehrerer Symbole lassen sich Beziehungen zwischen Personen und Objekten oder Ereignisse in Zeit und Raum bildlich darstellen. Wenn Pati Hill die Dinge in ihre persönliche Sammlung überträgt, verlieren sie ihre Alltäglichkeit.
Wie universell, also allgemeingültig, können die eigenen Zeichen sein?
Dazu merkt sie an, dass eine internationale Zeichensprache stets weiterwachsen muss. Mit ihrem »Proposal« geht es ihr nicht um eine Lösung, sondern um eine künstlerische Untersuchung und »Aktivierung« von Zeichen. Um ein Nachdenken über die Beziehungen zwischen den alltäglichen Dingen, die in Patti Hills Zeichensprache neu zusammen gedacht werden können.
»Bis zum Jahr 2065 werden wir alle LoCoS sprechen« [ Yukio Ota ]
Der Grafiker und PiktogrammDesigner Yukio Ota (*1939, lebt in Tokio) ist der Erfinder der Bildzeichenschrift LoCoS, die Abkürzung für Lovers Communication System. Sein System soll über Ländergrenzen und Sprachbarrieren hinweg leicht erlernbar sein. Wer nicht dieselbe Sprache spricht, aber LoCoS beherrscht, kann miteinander Nachrichten austauschen.
Für Yukio Ota ist das SICHVERSTEHEN-KÖNNEN die Grundvoraussetzung für einen liebevollen Umgang der Menschen miteinander.
In seiner Arbeit als Designer beschäftigt sich Yukio Ota mit der Frage, wie wir Piktogramme lesen und verstehen. Piktogramme sollen über Bilder möglichst genau die Information vermitteln, die sonst in den Wörtern unterschiedlicher Sprachen geschrieben werden müsste. Es geht Ota also um eine möglichst »universelle« Verständlichkeit: Jeder Mensch, egal welche Sprache er spricht und wie gebildet er ist, soll die Bildzeichen ohne Erklärung so schnell wie möglich verstehen.
Übrigens: Yukio Ota ist der Erfinder eines Piktogramms, das jeder kennt: Er entwarf das grünweiße Notausgang-Schild mit einer rennenden Figur, dem Richtungspfeil und der offenen Tür. Auch in diesem Museum markieren diese Schilder den schnellsten Weg zum nächstgelegenen Notausgang.
Warja Lavater (1913–2007) erzählt Geschichten. Die Schweizer Malerin, Illustratorin und Grafikerin benutzt dafür allerdings nur wenige Wörter und lässt stattdessen selbst entworfene Piktogramme sprechen. In ihrer New Yorker Zeit ab Ende der 1950er Jahre interessiert sie sich besonders für den freien Einsatz von Piktogrammen in Künstler*innenbüchern, zum Beispiel in gefalteten Bildstrecken, sogenannten Leporellos.
Wie lässt sich durch die räumliche Anordnung von Bildzeichen, Formen und Farben auf Papier ein Märchen der Gebrüder Grimm erzählen?
Warja Lavaters künstlerisches Zeichenuniversum fordert das genaue Hinsehen und Mitdenken der Betrachtenden. Die Piktogramme lassen sich entschlüsseln. In einer Legende, ähnlich der einer Landkarte, hat Warja Lavater die Zeichen und ihre Bedeutungen aufgeführt.